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Im aktuellen Interview äußert sich Marc Müller-Kurzwelly, Leitung Wohn- und Geschäftshäuser am Standort Düsseldorf, zu den Möglichkeiten, in Nordrhein-Westfalen zeitnah Wohnraum durch den Dachausbau in Bestandsbauten zu schaffen und so den Wohnungsmarkt zu entlasten.
„Wir brauchen eine Dachausbau-Initiative”, sagt Marc Müller-Kurzwelly, Leiter Wohn- und Geschäftshäuser bei Engel & Völkers Commercial Düsseldorf. Im Interview erläutert der Immobilienexperte, wie viel Wohnraum dadurch geschaffen werden könnte und welche Vorteile Dachausbauten für enge Wohnungsmärkte sowie den Ressourcenschutz bieten.
Frage: Herr Müller-Kurzwelly, welche Möglichkeiten gibt es, um zeitnah möglichst viel Wohnraum in nachgefragten Wohnungsmärkten zu schaffen?
Marc Müller-Kurzwelly: Es bestehen mehrere Möglichkeiten. Erstens ist das die Nutzung letzter innerstädtischer Konversionsflächen, zweitens die Schließung von Baulücken, drittens die Erweiterung urbaner Strukturen im Umland der Ballungsräume und viertens die Aktivierung ungenutzter Dachgeschosse von Bestandsobjekten. Da die noch vorhandenen innerstädtischen Konversionsflächen im Hinblick auf das Potenzial stark begrenzt sind und eine weitere Zersiedelung des Umlands langfristigen Raumordnungszielen entgegensteht, sollten wir uns darauf konzentrieren, mehr Wohnraum durch Entwicklung im urbanen Bestand zu schaffen – in erster Linie in den Dachgeschossen.
Über welche Größenordnung reden wir bei der Entwicklung von Dachgeschossen im Bestand?
Müller-Kurzwelly: Ungenutzte Dachgeschosse verkommen in den Mehrfamilienhäusern deutscher Großstädte als Abstellräume oder bleiben als Speicher vielerorts ungenutzt. Wir haben laut einer Studie der TU Darmstadt allein in den angespannten Wohnungsmärkten Deutschlands das Potenzial 1,1 Millionen Wohnungen mit einer mittleren Wohnfläche von 85 Quadratmetern zu erstellen. Das wäre mehr als genug, um den aktuellen Wohnungsmangel zu beheben.
Werden nicht in erster Linie bezahlbare Wohnungen gesucht? Welchen Zweck haben neue Dachgeschosswohnungen oder Penthouses in Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg oder München?
Müller-Kurzwelly: Diese Wohnungen sind selbstverständlich nicht im Rahmen der Programme für preisgedämpften Wohnraum darstellbar. Dafür sind die Entwicklungs- und Baukosten zu hoch. Allerdings setzt der Bezug von neuen Wohnungen immer eine Kettenreaktion freiwerdender Einheiten im Wohnungsbestand in Gang. Somit hilft der Wohnungsneubau – sogar in Dachgeschossen – dem Gesamtwohnungsmarkt.
Weshalb wird nicht schon längst viel mehr in die Entwicklung von Dachgeschossrohlingen investiert?
Müller-Kurzwelly: Ein erfahrener Projektentwickler berichtete mir schon in den frühen Nullerjahren etwas überspitzt, dass es leichter sei, einen Wolkenkratzer in Manhattan als eine Dachgaube in Düsseldorf-Unterbilk genehmigt zu bekommen. Daran hat sich nicht viel geändert. Die Gründe hierfür liegen einerseits in der geringen personellen Ausstattung deutscher Bauämter, andererseits in ganz erheblichem Maße an dem Regelungsgehalt des immer komplexer werdenden Baurechts.
Was genau sind die größten Hürden?
Müller-Kurzwelly: Die Kumulation vieler Teilbereiche macht es für den privaten Hauseigentümer schon fast zur Lebensaufgabe, eine Baugenehmigung für den Dachgeschossausbau zu erwirken. Folgende Themen wiegen besonders schwer: Nachbarzustimmung bei Abstandsflächen, nachträglicher Einbau oder Anbau von Aufzügen, Barrierefreiheit, Neubewertung des Brandschutzes mit Auswirkungen für das gesamte Objekt, Stellplatznachweise und Schallschutz.
Worin bestehen die Chancen des Dachgeschossausbaus?
Müller-Kurzwelly: Die großen Vorteile in der Entwicklung ungenutzter Dachgeschosse liegen klar auf der Hand. Es müssen keine neuen Grundstücke erschlossen werden. Infrastrukturell bedeutet es für die Kommunen keine zusätzlichen Investitionen. Ferner muss sich die Politik auch nicht auf die strategischen Entscheidungen von großen Projektentwicklern oder Wohnungskonzernen verlassen. Vielmehr kann man bundesweit betrachtet mehrere zehntausend Privateigentümer dazu animieren, ihre Energie und ihr Kapital in die Schaffung neuen Wohnraums zu investieren.
Was ist dazu notwendig?
Müller-Kurzwelly: Der Gesetzgeber sollte den Baubehörden mehr Freiraum geben. Es ist an der Zeit, dass der Gesetzgeber eine Taskforce mit Experten – also Architekten, Projektentwicklern, Bauträgern und Maklern – aus der Praxis anhört, um in den angesprochenen Regelungsbereichen größere Ermessensspielräume zu schaffen. Dazu gehören Öffnungsmöglichkeiten von Bebauungsplänen sowie geringfügige Abweichungsmöglichkeiten beim Maß der baulichen Dichte sowie First- und Traufhöhenbeschränkungen. Das sollte für den Gesetzgeber keinen großen Aufwand darstellen. Man muss es nur wollen.
Spielt die Erneuerung von Dachgeschossen auch eine Rolle im Hinblick auf die energiepolitischen Ziele für den Gebäudesektor?
Müller-Kurzwelly: Ja, in der Tat. Dieser Punkt spielt sogar eine sehr große Rolle. Wenn das Dachgeschoss als Teil der Gebäudehülle einmal angefasst und neu aufgebaut wird, kann man bei der Neugestaltung gleich Photovoltaik, Solarthermie und Wärmepumpen unterbringen. Ferner können nachfolgende Sanierungsschritte der Fassade planerisch mit einbezogen werden. Somit kommt man nicht nur den wohnungspolitischen, sondern auch gleich den energiepolitischen Zielen einen großen Schritt näher.
Wie sieht es mit der Finanzierbarkeit dieser Vorhaben aus?
Müller-Kurzwelly: Auf Seiten der Kommunen fallen bis auf personell besser auszustattende Bauämter keine oder nur geringfügige Aufwände an. Auf Eigentümer- beziehungsweise Bauherrenseite ist vielerorts der Wille da, etwas aus den Immobilien zu machen. Glücklicherweise fällt bei der Aktivierung von Dachgeschossen der Grundstückskostenanteil gar nicht erst an. Dem gegenüber stehen hohe Baukosten und gestiegene Zinsen. Neue Förderprogramme der KfW mit zinsgünstigen Darlehen und Zuschüssen reichen aus, um an dieser Stelle etwas in Gang zu setzen und den vorhandenen Energien privater Immobilieneigentümer freien Lauf zu lassen.
Wie lautet Ihr Appell?
Müller-Kurzwelly: Seit vielen Jahren wird dieses Thema von unterschiedlichen Institutionen angesprochen. Sowohl politische Parteien als auch die Bundesarchitektenkammer wagen immer einmal wieder Vorstöße in diese Richtung. Vom Gesetzgeber ist das bislang aber nicht umgesetzt worden. Ich würde mich freuen, wenn die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen eine Dachgeschoss-Offensive zu ihrem Leuchtturmprojekt macht. Es gibt bei diesem Vorhaben ausnahmslos Gewinner!
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