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15. Dezember 2023 | Auch 2023 stand der Berliner Einzelhandel vor großen Herausforderungen. „Das Jahr war geprägt von Umsatzrückgängen bei den Lebensmittelhändlern, Insolvenzen auch großer Handelsunternehmen sowie einiger namhafter Projektentwickler und vorsichtigen Expansionsplänen“, fasst Veronika Tomas-Kelava, Retail-Expertin bei Engel & Völkers Commercial Berlin, die Entwicklungen zusammen. Nur wenige Segmente wie Luxus und Entertainment zeigten sich robust und wuchsen.
Der Krieg in der Ukraine, die daraus resultierenden hohen Energiepreise und letztlich die Inflation haben das Konsumverhalten entscheidend verändert. Finanzielle Überlegungen spielten 2023 eine entscheidende Rolle bei den Kaufentscheidungen der Verbraucher. Im Bereich der Lebensmittel sind es besonders die Biomärkte, die unter dem notgedrungenen neuen Preisbewusstsein der Konsumenten gelitten haben. „Die Menschen gehen gezielter einkaufen und sparen dort, wo sie können, zum Beispiel bei der Qualität der Lebensmittel. Sie hinterfragen genauer das Preis-Leistungs-Verhältnis und verschieben die nicht dringenden Anschaffungen“, sagt Veronika Tomas-Kelava.
Doch nicht nur eine mangelnde Konsumlust erschwert die Geschäfte mit Verbrauchsgütern. Der Fachkräftemangel stellt sich zunehmend als Hindernis für Wachstum heraus. Immer öfter stehen Kunden im Supermarkt vor einer unbesetzten Frischfleischtheke oder einer geschlossenen Bäckerei, weil Personal fehlt. Dieses Phänomen, das schon seit Post-Corona-Zeiten den Alltag in der Gastronomie prägt und deren Umsätze schmälert, hat sich nun auch auf den Einkauf von Waren des täglichen Bedarfs ausgeweitet. Auch Expansionspläne werden zunehmend in Abhängigkeit von Personalbesetzungen getroffen. Anmietungen finden erst statt, wenn ein signifikanter Anteil der Mitarbeiter rekrutiert wird – mindestens aber der Storemanager feststeht.
Im klassischem Retail hält die Tendenz zur Flächenreduktion an. Sie senkt nicht nur die Mietbelastung, sondern macht weniger Personal notwendig und trägt auch damit zu geringeren Kosten bei. Vermieter zeigen sich zunehmend kompromissbereit, wenn Retailer Pläne haben, ihre Flächen zu verkleinern. Immer häufiger wird die klassische dreigeschossige Anordnung, bei der ein Geschäft Unter-, Erd- und erstes Obergeschoss einnimmt, zugunsten einer Mischnutzung im Objekt angepasst.
Doch der Umnutzung sind oftmals Grenzen gesetzt. „Eine Nutzung des ersten Stockwerks durch zum Beispiel Büroflächen ist nur dann möglich, wenn die Kubatur der Immobilie entsprechend ist und genügend natürliches Licht in das Gebäude fällt“, erklärt Veronika Tomas-Kelava. Das ist beim klassischen Warenhaus mit seinen geschlossenen Fassaden oftmals nicht der Fall. Dort, wo es jedoch möglich ist, wird diese Option geprüft und gegebenenfalls angenommen. „Meistens lohnt sich das, auch wenn der Umbau mit hohen Kosten verbunden ist, da die Büromieten sich immer noch auf einem relativ hohen Niveau bewegen und die Nachfrage nach bestimmten Flächengrößen weiterhin gegeben ist“, sagt die Retail-Expertin.
Die positive Nachricht: Die typische Größe der Geschosse von Retailimmobilien passt sehr gut zu der aktuellen Nachfrage im Büromarkt. Mittlere Flächengesuche erfreuen sich stets guter Nachfrage bei Büroimmobilien. Das entspricht jenen 500 bis 1.000 Quadratmetern, die die Geschossflächen im Einzelhandel typischerweise einnehmen.
Neben Büroimmobilien finden sich auch zunehmend Entertainment- und Sportangebote in den Etagen über und unter den Retailflächen im Erdgeschoss. Dazu zählen neben dem klassischen Sportstudio immer öfter auch Gaming-Stationen, Virtual-Reality-Erlebniswelten oder Escape-Rooms. Doch obwohl diese Nutzungen weniger tageslichtabhängig sind, stoßen auch dort die Möglichkeiten der Transformation an Grenzen. Denn in den meisten Fällen gehen Umnutzungen mit erheblichen baulichen Veränderungen einher, welche in der Regel genehmigungspflichtig sind. „Und auch hier schlägt der Personalmangel zu – und zwar der auf den zuständigen Ämtern“, weiß Veronika Tomas-Kelava.
Auch das hat Konsequenzen für die Expansion. „Von der Antragstellung bis zur Genehmigung vergehen in Berlin nicht selten sechs Monate. Deswegen werden immer öfter Verträge abgeschlossen, die den Mieter verpflichten, die Baugenehmigung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt einzureichen. Passiert das nicht, können beide Parteien vom Vertrag zurücktreten.“ Danach dauert es oft nochmals Monate, bis Ausschreibungen gemacht, Handwerker – unter denen ebenfalls Mangel herrscht – gefunden und die Umbauten abgeschlossen sind. Der Personalmangel in vielen Bereichen ist also auch für den Immobiliensektor zu einem Problem geworden.
Weiterhin erfolgreich ist das Luxussegment, das auf eine Käuferschicht abzielt, die weniger preissensibel einkaufen kann. Der Newcomer des Jahres 2022, die Elektromobilität, hat hingegen seinen Peak erreicht. Mittlerweile haben fast alle relevanten Marktakteure Showrooms und Flagship-Stores in Premiumlagen eröffnet.
Trotz des schwierigen Umfelds gibt es Veronika Tomas-Kelava zufolge jedoch einen Effekt, welchen man positiv ausnutzen könnte. Und dieser hat überraschenderweise mit einem Segment zu tun, das dem klassischen Retail in den vergangenen Jahren schwer zu schaffen gemacht hat: dem Online-Handel. Immer mehr Verbraucher leiden unter verspäteten Lieferungen und beklagen unzuverlässige Zustellungen. Das sei eine Chance für den stationären Handel, wieder mehr Kunden in die Stores zu bekommen: indem er die Möglichkeit bietet, sich die online bestellte Ware in den Store liefern zu lassen und dort mit fachlicher Beratung und einer hohen Erlebnisqualität Kunden an sich bindet und zum Wiederkommen anregt.
„Es reicht nicht allein, die Fläche zu reduzieren“, sagt Veronika Tomas-Kelava. „Eine intelligente Kombination aus online und offline, sprich, aus Social Media und stationärem Handel, aus Retail, Beratung und Entertainment wird Kunden wieder in die Geschäfte locken und steigert damit auch den Wert der Immobilie.“
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