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Fünf Lehren, die Berlin aus der Friedrichstraße ziehen kann

Zwischen Verkehrsversuchen, Gewerbemieterabwanderung und Neubeginn zeigt sich, was über die Zukunft urbaner Handelslagen entscheidet. | von Aissatou Frisch-Baldé am 10. September 2025


Kaum eine Straße in Berlin wird so intensiv diskutiert wie die Friedrichstraße. Einst eine Glanzadresse mit großem kulturellem und kommerziellem Gewicht, war sie über Jahrzehnte eine feste Größe im Einzelhandel. In den vergangenen Jahren hat sie diese Rolle jedoch zunehmend eingebüßt: Immer mehr Gewerbemieter ziehen sich zurück, während neue Konzepte nicht konsequent umgesetzt wurden. Das Hin und Her – einmal Fahrradstraße, dann wieder für den Autoverkehr geöffnet – verstärkte die Unsicherheit zusätzlich. Negative Schlagzeilen verschärften das Bild. Solche Entwicklungen haben Folgen: Wer eine Immobilie langfristig nutzt oder entwickelt, braucht Verlässlichkeit.


Die Friedrichstraße steht damit exemplarisch für die Frage, wie Einkaufsstraßen in Zukunft funktionieren können. Klar ist: Das Modell der großen, uniformen Läden hat ausgedient. Menschen erwarten heute mehr. Sie wollen Orte erleben, die über den reinen Einkauf hinausgehen, mit Gastronomie, besonderen Konzepten, Grünflächen, Sitzgelegenheiten und Angeboten, die jeden ansprechen. Einkaufsstraßen müssen wieder zu Stadträumen werden.


Dass dieser Ansatz funktioniert, zeigt der Hackesche Markt. Dort hält sich die Attraktivität seit Jahren, ohne dass ständig neu gebaut wird. Der Schlüssel liegt im Mix: internationale Marken und Flagship-Stores, kleine Shops und junge Gastronomie, ergänzt durch Kulturangebote, Wasserlage und Grün. Hier lässt sich ein ganzer Tag verbringen. Genau diese Vielfalt sorgt für Kontinuität und macht das Quartier unabhängig von kurzfristigen Moden.


Ein Neustart für die Friedrichstraße

Die Friedrichstraße hat diesen Wandel noch vor sich. Doch es gibt Signale für eine Wiederbelebung. Auf dem Gelände des ehemaligen Galeries Lafayette entsteht mit „Lumina“ ein großangelegtes Projekt, das Handel, Gastronomie, Büro, Sport und Wohnen verbindet. Solche Mixed-Use-Entwicklungen können als Katalysatoren wirken: Sie ziehen Aufmerksamkeit auf sich, schaffen Frequenz und geben den Nachbarliegenschaften Rückenwind. Realistisch ist, dass die Lage in den Jahren 2027 und 2028 wieder deutlich an Attraktivität gewinnt, sowohl für den Einzelhandel als auch für Büronutzer.


Ein Blick in die City West zeigt, wie zyklisch sich Lagen entwickeln. Immer wieder verlagerten sich Schwerpunkte zwischen Mitte und Ku’damm. Kanzleien, konservativere Unternehmen und internationale Nutzer entschieden sich zeitweise für den Westen, nicht zuletzt wegen der dortigen Neubauten. Heute gilt der Ku’damm mit dem KaDeWe als klassische Flaniermeile der Stadt. Internationale Marken in der Tauentzien-Achse haben die Strahlkraft zusätzlich verstärkt. Die Lehre: Eigentümer müssen ein klares Profil entwickeln und ihre Flächen so positionieren, dass sie das Gesamterlebnis der Lage bereichern.


Potsdamer Straße und Potsdamer Platz im Aufwind

Auch die Potsdamer Straße illustriert diesen Prozess. Lange galt sie als schwierige Adresse, heute gewinnt sie Profil durch Künstler, Ateliers und kreative Pioniere. Sie haben den ersten Impuls gesetzt, dem inzwischen Mode- und Lifestylemarken wie Acne Studios und Andreas Murkudis folgen. Solche Entwicklungen entstehen nicht von selbst, sondern setzen Eigentümer voraus, die Flächen gezielt gestalten, Freiräume ermöglichen und mit moderaten Anfangsmieten den Einstieg für neue Mieter erleichtern. Das ist nicht überall übertragbar, aber es zeigt, wie Quartiere neuen Charakter gewinnen können.


Ein weiteres Beispiel für Wandel sind Einkaufscenter. Lange als überholt betrachtet, repositionieren sich viele erfolgreich. Am Potsdamer Platz oder im Umfeld des ehemaligen Sony Centers wurden Konzepte neu ausgerichtet: weniger reine Verkaufsflächen, mehr Gastronomie, neue Marken und höhere Aufenthaltsqualität. Dort, wo das Angebot an die veränderten Bedürfnisse angepasst wird, funktioniert der Markt.


Lehren für die Zukunft

Aus diesen Erfahrungen lassen sich fünf zentrale Faktoren ableiten:

  1. Aufenthaltsqualität hat Vorrang vor Flächenwachstum. Grün, Sitzgelegenheiten und Orte zum Verweilen sind unverzichtbar.
  2. Der Mix entscheidet. Neue innovative Konzepte sind relevanter als uniforme Großflächen.
  3. Planungssicherheit ist notwendig. Politik und Verwaltung müssen verlässliche Rahmenbedingungen schaffen.
  4. Impulse sind entscheidend. Ein starkes Ankerprojekt kann eine ganze Lage neu beleben.
  5. Offenheit für Neues bringt Dynamik. Berlin profitiert von Formaten, die es hier bisher nicht gibt, auch aus anderen Städten und Märkten.


Berlin bleibt eine attraktive Destination, für die Bewohner ebenso wie für Gäste. Kaufkraft ist vorhanden, wird aber bewusster eingesetzt. Wer Aufenthaltsqualität schafft, den richtigen Mix anbietet und für Verlässlichkeit sorgt, macht aus Einkaufsstraßen wieder Orte, die man gerne besucht. Für die Friedrichstraße ist das mehr als eine Standortfrage: Sie liegt im Herzen der Stadt, zwischen wichtigen Quartieren, und kann wieder zu einer Flaniermeile werden, die unterschiedliche Viertel miteinander verbindet. Gelingt dieser Wandel, gewinnt nicht nur eine Straße, sondern die Stadt als Ganzes. Die Friedrichstraße hat diese Chance. Jetzt gilt es, sie zu nutzen.

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